Wieso du den inneren Kritiker nicht loswerden oder besiegen kannst

Franz Grieser // März 1 // 0 Comments

Wenn es um das innere Team oder innere Anteile geht, ist kaum ein Anteil so unbeliebt wie der innere Kritiker (der natürlich auch eine innere Kritikerin sein kann).

Der innere Kritiker ist eine innere Stimme, die alles kritisiert, was wir tun. Oder die nörgelt oder uns – im Extremfall – richtig üble Beschimpfungen um die Ohren haut. Viele Schreibende kennen diesen inneren Kritiker, der ihnen einflüstert, dass sie doch gar nicht schreiben können, dass sie nichts zu sagen haben, dass man das doch so nicht schreiben kann …

Im Coaching oder auch in Gesprächen höre ich von Betroffenen immer wieder den Wunsch, diesen nervigen/lästigen/störenden Anteil loswerden zu wollen.

So verständlich der Wunsch ist: Das wird nicht klappen.

Der innere Kritiker ist ein Teil von uns

Er ist – per definitionem – ein Teil von uns. Anders als etwa der Blinddarm ist er aber kein Anteil, der verzichtbar wäre.

Der innere Kritiker hat eine wichtige Aufgabe im inneren Team: Er fühlt sich für unseren Schutz verantwortlich und will uns vor unangenehmen Situationen bewahren.

Er versucht, uns zu schützen …

  • vor Fehlern,
  • vor Fehlschlägen,
  • vor Enttäuschungen,
  • vor Angriffen von anderen
  • und weiteren Bedrohungen (wobei das oft Bedrohungen sind, die wir selbst vielleicht gar nicht als Bedrohung sehen – der Kritikeranteil aber sieht sie so).

Auch wenn das auf den ersten und zweiten Blick nicht zu erkennen ist.

Der innere Kritiker: ein Irrläufer

Das Problem mit dem inneren Kritiker: Er ist wie ein Irrläufer und untergräbt seine an sich positive Absicht durch sein Handeln. Er versucht, seine Aufgabe zu erledigen – aber auf eine Weise, die kontraproduktiv ist. Und dadurch verletzt er uns und untergräbt unser Vertrauen ins eigene Können.

Und zusätzlich verhindert er, dass wir das tun, was uns wichtig ist.

Einer meiner Schreibcoaching-Klienten, nennen wir ihn Thorsten, hat einen solchen inneren Kritiker. Sobald Thorsten sich hinsetzt, beispielsweise um einen neuen Blogbeitrag zu schreiben, schafft er es meist nur, ein oder zwei Sätze aufzuschreiben. Dann fängt sein innerer Kritiker schon an: „Das ist doch langweilig. Das will doch kein Schwein lesen.“

Thorsten wird unsicher und fängt an, den ersten Satz umzuformulieren. Schon meckert die innere Stimme weiter: „So kannst du das doch nicht schreiben. Das ist ja peinlich.“

Thorsten löscht alles und fängt von vorne an. Aber auch das passt der inneren Stimme nicht, die das so quittiert: „Lass es doch einfach. Du konntest schon in der Schule nicht schreiben.“

Mit dem Ergebnis, dass Thorsten erst einmal aufsteht, sich einen Kaffee macht, es noch einmal probiert und dann doch aufgibt.

So absurd es klingt: Damit hat der innere Kritiker seine Absicht erreicht. Thorsten veröffentlicht den Blogbeitrag nicht, also gibt es auch keine Kritik von Lesern. Und Thorsten blamiert sich nicht (aus Sicht des Kritikers).

Thorsten allerdings hat keinen Blogbeitrag geschrieben, ist frustriert und zweifelt noch stärker an sich.

Innerer Kritiker

 

Wie du die positive Absicht des inneren Kritikers herausfindest

Statt sich vom inneren Kritiker ausbremsen zu lassen, hat Thorsten – und hast du – die Möglichkeit, herauszufinden, was der Kritiker wirklich, wirklich will. Was die Absicht hinter der Absicht ist. Und das ist dann der Hebel, mit dem du den Kritiker zur Kooperation bringen kannst.

Dabei hilft folgende Strategie: Reagiere auf jeden Einwand, jede Kritik, jedes Niedermachen mit einer Frage. Gut eignet sich dafür eine Frage wie: „Wieso sagst du das?“.

Das könnte dann so aussehen:

IK: „Das ist doch langweilig. Das will doch kein Schwein lesen.“

T: „Wieso sagst du das?“

IK: „Na, weil’s wahr ist.“

T: „Wieso sagst du das?“ (Es ist da keine gute Idee, zu fragen: „Woher weißt du das?“ – der innere Kritiker würde dann eine Situation finden, in der das schon mal passiert ist.)

IK: „Ich will, dass du was schreibst, was gut ist, was spritzig ist, was die Leute gern lesen.“

T: „Wieso sagst du das?“ (Hier könnte man auch fragen: „Wieso willst du das?“)

IK: „Na, ich will dich anspornen, damit du dich anstrengst.“

T: „Wieso willst du das?“

IK: „Damit die Leute es gern lesen.“

T: „Wieso willst du das?“

IK: „Damit du gute Rückmeldungen kriegst.“

T: „Wieso willst du das?“

IK: „Ich will, dass du stolz bist. Dass es dir gut geht.“

Das ist die positive Absicht, die hinter dem Handeln des inneren Kritikers steht. Letztlich will er ja, dass es Thorsten (bzw. dir) gut geht. Und da lässt sich gut einhaken. Beispielsweise so:

T: „Das ist schön, dass du das für mich willst. (Oder eine andere Formulierung, die die positive Absicht würdigt.)

Allerdings kann ich erst stolz sein, wenn ich den Blogbeitrag zu Ende geschrieben habe. Wenn ich mittendrin frustriert aufgebe, weil du mich dauernd kritisiert, bin ich nicht stolz. Und dann geht es mir auch nicht gut.

Wie wäre es denn, wenn du mich den Beitrag einfach mal zu Ende schreiben lässt? Und erst dann Kommentare dazu abgibst? Und bitte: Konstruktive Vorschläge, mit denen ich den Text besser machen kann.

Wollen wir das mal ausprobieren? Für diesen einen Blogbeitrag?“

In den meisten Fällen ist so ein Miteinander anstelle des Gegeneinander von vorhin möglich. Zumindest in diesem Fall. Wahrscheinlich ist es auch bei den nächsten Versuchen nötig, noch mal ins Aushandeln zu gehen.

Wenn der innere Kritiker nicht kooperieren will

Natürlich kann es auch passieren, dass der innere Kritiker sich gar nicht erst auf das Zwiegespräch einlässt oder nicht bereit ist, den Vorschlag auszuprobieren. Es kann auch sein, dass er sich einfach nicht unterbrechen lässt.

Für solche Fälle biete ich Einzelcoachings an.

Das Titelbild stammt von Adi Goldstein, das Bild im Beitrag von Apostolos Vamvouras (beide via Unsplash)

Hier gibt es weitere spannende Beiträge: