Hochstapler-Syndrom: Wenn keiner merken darf, dass Sie Fehler machen

Franz Grieser // April 28 // 0 Comments

Die amerikanische Schriftstellerin und Dichterin Maya Angelou (1928 bis 2014) soll einmal gesagt haben: „Ich habe elf Bücher geschrieben. Aber jedes Mal denke ich ‘Ohoh, jetzt werden sie’s rausfinden. Ich habe sie alle getäuscht, und sie werden mir auf die Schliche kommen.’“

Ein klassischer Fall von Hochstapler-Syndrom (korrekter wäre der Begriff Hochstapler-Phänomen – mehr zu den Begriffen am Ende des Beitrags).

Häufig schätzen Menschen, die sich für Hochstapler halten, ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen falsch ein. Sie denken, dass ihre Erfolge nur aus Zufall oder Glück oder durch Fleiß oder Manipulation zustande gekommen sind. Zusätzlich haben sie ständig Angst, jemand könnte bemerken, dass sie allen nur etwas vorgemacht haben und gar nicht so intelligent oder begabt sind. Kurz: Es könnte herauskommen, dass sie im Grunde Hochstapler, Betrüger oder Blender sind. Ihre Angst ist es, aufzufliegen und wie der Kaiser im Märchen ohne Kleider da zu stehen.

Woran erkennt man das Hochstapler-Syndrom?

Betroffene zeigen eins oder mehrere der folgenden Symptome:

  • Die Betroffenen versuchen, durch übermäßiges Arbeiten sicherzustellen, dass sie nichts übersehen und keine Fehler machen. Sie wollen unter allen Umständen vermeiden, Grund für Kritik zu liefern.
  • Oder sie zeigen Aufschiebeverhalten: Sie schieben den Zeitpunkt immer weiter hinaus, ab dem jemand erkennen könnte, dass sie Hochstapler sind.
  • Sie kämpfen ständig mit der Angst davor, mit anderen verglichen zu werden.
  • Sie vertrauen ihren eigenen Fähigkeiten nicht. Ebenso wenig trauen sie positiven Rückmeldungen.
  • Sie gestehen sich selten das Recht zu, Fertigkeiten erst erlernen zu müssen. Sie glauben, sie müssten diese schon besitzen.
  • Sie sind äußerst vorsichtig und gehen keine Risiken ein. Sie halten sich bewusst im Hintergrund und werden nur in Situationen sichtbar, in denen sie sicher sind, erfolgreich zu sein.

All das, obwohl in den allermeisten Fällen harte Arbeit, Können, Kreativität und Mut hinter dem stecken, was sie geleistet oder geschaffen.

Wie mit dem Hochstapler-Syndrom umgehen?

  • Eins der wirksamsten Mittel ist genau das, wovor sich vermeintliche Hochstapler am meisten fürchten: Darüber sprechen. Das heißt nicht, dass Sie Ihre Angst öffentlich machen müssen, wie das der Schauspieler Tom Hanks und die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg getan haben (beide haben in Interviews eingeräumt, unter dem Hochstapler-Phänomen zu leiden). Es reicht völlig, wenn Sie Ihre Angst ein, zwei Personen anvertrauen, die Ihnen wohlgesonnen sind.
  • Hilfreich ist auch, sich vor Augen zu halten, dass das Phänomen nicht dauerhaft ist und dass es situationsbezogen Typischerweise kommt die damit verbundene Angst dann hoch, wenn man etwas besonders Schwieriges oder Bedeutendes tut, wenn es um etwas Wichtiges geht. Das heißt: Sie beschäftigen sich gerade mit einer herausfordernden Aufgabe – da ist es ganz normal, Angst zu haben, die Aufgabe nicht meistern zu können. Das bedeutet aber auch: Sie sind gerade an etwas dran, das persönliches Wachstum und Weiterentwicklung verspricht.
  • Halten Sie sich immer wieder vor Augen, dass Ihre Gedanken, nicht zu genügen, genau das sind: einfach nur Gedanken, mehr nicht.
  • Statt sich mit anderen zu vergleichen oder sich mit einem (oft nicht erreichbaren) Ideal zu messen: Fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, welchen positiven Anteil Sie am Gelingen haben. Wahrscheinlich sehen Sie sehr genau, wo Sie Fehler machen und nicht genügen – konzentrieren Sie sich stattdessen darauf, was Sie gut gemacht haben, was Sie können, wo Sie sich angestrengt haben, wo Sie etwas gelernt haben.
  • Umgeben Sie sich mit Menschen, die Sie unterstützen und die die positiven Seiten in Ihnen sehen und schätzen.

Hochstapler-Syndrom oder Hochstapler-Phänomen?

Den Begriff „Impostor Syndrome“ (Hochstapler-Syndrom) prägten 1978 die Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes. Sie hatten beobachtet, dass viele beruflich erfolgreiche Frauen glaubten, ihre Intelligenz und ihre Leistungen würden von anderen überschätzt. Lange dachte man, dass Männer für dieses Phänomen nicht (so) anfällig wären, das hat sich aber als Irrtum herausgestellt. Einer Studie von 1990 zufolge zeigt sich das Phänomen bei Frauen in Form von Vorsicht und Zurückhaltung, bei Männern dagegen in Form von hektischer Aktivität – Männer versuchen offenbar, ihre Kompetenz durch Aktivität zu beweisen.

Clance nahm später den Begriff „Syndrom“ zurück. Ein Syndrom ist eine Kombination aus verschiedenen Krankheitssymptomen. Und genau das ist das Hochstapler-Phänomen nicht. Es ist keine mentale Störung oder Krankheit, und es ist auch ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal, wie man anfangs dachte – das heißt: Das Phänomen kann auch wieder verschwinden. Tatsächlich fühlen sich amerikanischen Studien zufolge 70 Prozent aller Menschen unter bestimmten Umständen als Hochstapler.

 

Das Titelfoto stammt von Pixabay-Nutzer Paul_Henri. Das zweite Foto stammt von Pixabay-Nutzer pasja1000.

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